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Kaum zu glauben

Es steht geschrieben

 

Letzte Aktualisierung: 26.12.2013 15:10

 

 


DER ERFINDER DER MAUERN
 
Erstes Buch der Bibel: ein Bauer hat ganz eigenwillige Ideen, wie er seinen Schöpfer anbeten will. Anstatt ein Tier zu schlachten und so zu opfern, wie es ihm erklärt worden war, findet er es viel individueller und persönlicher, etwas zu opfern, was er mit seinen eigenen Händen geleistet hat. Den Ackerboden hat er sorgfältig bearbeitet, die Steine aufgelesen, das Unkraut gezupft, gegossen, wenn's nötig war und die Tiere verscheucht, die sich an dem Grünzeug satt knabbern wollten. Der Ertrag seiner Felder kann sich sehen lassen, er ist schon ein bißchen stolz auf das, was er sich da mühsam erarbeitet hat.

Sein Bruder züchtet Schafe und Ziegen und sie waren beide gelehrt worden, dass sie zwecks Vergebung ihrer Schuld ein Tier zu töten und dieses dann zu verbrennen hätten. Er findet das aber abscheulich! Diese niedlichen Schäfchen, die wirklich ganz allerliebst und friedlich sind - und dann soll er sowas Unschuldiges abschlachten und verbrennen? Die blöken dann immer so hilflos und gucken ihn vorwurfsvoll an, wie er meint. Er findet das ziemlich herzlos und gemein. Während seine hart erarbeiteten und sorgfältig gepflegten, knackig frischen Feldfrüchte, die er sauber gewaschen und völlig ohne Runzeln und auch vom Wurzelwerk befreit auf den Altar legt, sich wirklich sehen lassen können. Da stinkt nichts nach Blut, es duftet eher aromatisch, wenn man auch noch ein paar Kräuter ins Feuer wirft. Und man wird davon auch nicht so depressiv und traurig beim Zugucken. Jedesmal vergeht ihm doch das Lachen, wenn er ein Tier opfern soll...

Wie kann der Schöpfer des Lebens am mutwilligen Tod eines Tieres Freude haben, fragt er sich.
Der Schöpfer beobachtet genau, wie er gleichzeitig mit seinem Bruder einen Altar aufrichtet. Der Bruder schlachtet ein junges Schaf und er selbst bringt das beste Gemüse und das beste Getreide, das er geernet hat, dar. Und der Schöpfer bleibt völlig unbeeindruckt von seinem Tun. Ganz im Gegenteil: Er demonstriert dem Bruder, dass ihm das blutige getötete und brennende Schaf angenehm ist, während der Schöpfer SEIN Opfer keines Blickes würdigt! Das findet er mehr als ungerecht! Er hatte viel Arbeit mit dem Pflügen, Säen, Pflegen und Ernten, und er hat es wirklich sehr sehr gut gemacht, denn die Ernteergebnisse sehen hervorragend aus! Also was soll diese Ignoranz? Er ärgert sich! So würde ER sich jedenfalls nicht benehmen, wenn IHM jemand mit allem Herzblut so etwas darbringt! Er würde so eine Gabe bestaunen und den Geber wohlwollend betrachten, ihm freundlich zunicken oder sogar noch anerkennende Worte sprechen, dass jemand sich so viel Mühe gemacht habe, ihm eine Freude zu bereiten! Nun ist er nicht mehr nur traurig, sondern er beginnt sich zu ärgern und ist ziemlich empört über diesen ignoranten Schöpfer. Er läßt den Kopf hängen und starrt wütend grübelnd zu Boden.

Das wiederum möchte sein Schöpfer jetzt geklärt haben und fragt ihn, was ihm für eine Laus über die Leber gelaufen sei, dass er so ein wütendes Gesicht macht. Denn das könne man deutlich sehen... Er habe doch gewußt, was für ein Opfer sein Schöpfer sich vorstellte, es sei ihm ja alles ausführlich im Detail erklärt worden. Wenn er sich an die wirklich klaren Vorgaben gehalten hätte, hätte er es jetzt nicht nötig, mit wutverzerrtem Gesicht auf den Boden zu starren. "Gut gemeint" ist eben nicht "gut gemacht". Wenn er sich nun über die Folgen ärgere, dann sei ihm nicht zu helfen, diese Situation sei nämlich überhaupt nicht nötig gewesen. Also... nächstesmal besser machen!

Reuegefühle oder Einsicht haben im Herzen unseres Bauern aber gerade keinen Platz. Zutiefst fühlte er sich verletzt, ungerecht gemaßregelt, mißverstanden, nicht anerkannt. ER HAT ES SO GUT GEMEINT! ER HAT SICH SOLCHE MÜHE GEGEBEN! Seinem Schöpfer ist das aber keinen Blick, kein Wort, kein wohlwollendes Nicken wert. Der bevorzugt dafür ganz offensichtlich den Bruder. Der so unkreativ immer im gleichen Trott immer das gleiche opfert, dem es offenbar nichts ausmacht einem Tier das Leben zu nehmen! Unserem Bauer wird klar: So lange der Bruder auf diese Weise handelt, wird er selbst immer wieder schlecht abschneiden und Frustrationen einstecken müssen, das erkennt er jetzt. Am Besten wäre, der Bruder würde ein für alle Male verschwinden und nicht wieder auftauchen. "Folgebekämpfung" nennt man sowas, nicht "Ursachenbekämpfung". Aber Psychologiebücher hat unser Bauer sowieso noch nie gelesen. Bisher war das nicht nötig.

Der Gedanke, der da in ihm keimt, erscheint ihm immer attraktiver... der Bruder war ihm schon öfter ein Dorn im Auge gewesen. Der lebt angepaßt, hört sich ohne Widerworte von den Eltern alle Ermahnungen an und ist stets bemüht, diese auch zu beherzigen. Ein Draufgänger ist sein Bruder jedenfalls nicht. Eher angepaßt und ohne eigene Ideen. Wenn der Bruder also nicht mehr da wäre, würde der Schöpfer wohl oder übel auch mal andere Ideen gelten lassen müssen. Der Schöpfer würde dann auch erkennen, wieviel Mühe unser Bauer sich gegeben hat, wie geschickt und geübt er im Umgang mit den Feldern ist und überhaupt, dass er ein viel lebhafterer, schillernderer Charakter ist als sein Bruder. Das ist eigentlich unschwer zu erkennen. Der Schöpfer hatte sich aber wohl gar nicht erst die Mühe gemacht, in unserm Bauern die interessanten Seiten seiner Persönlichkeit zu suchen, sondern hatte sich stur gestellt. Da wird unser Bauer jetzt mal ein bißchen nachhelfen!

Und gar nicht viel später ergibt sich eine günstige Gelegenheit: Geschickt bespricht er sich mit seinem Bruder und es fügt sich günstig, dass beide gleichzeitig unterwegs in Richtung Felder sind. Er selbst gibt vor, sich um seine Feldfrüchte kümmern zu wollen und der Bruder will seine Tiere auf eine frische, Kain_Abelsaftige Weide treiben. Als sie an einem Haufen Steine vorbeikommen, tut unser Bauer so, als würde er einen Altar für das bald wieder fällig werdende Opfer aufschichten wollen. Auch sein Bruder bleibt stehen, bückt sich hilfsbereit nach ein paar griffigen, zusammenpassenden Steinen und will seinen Bruder dabei unterstützen... unser Bauer aber hat schon das nächstbeste griffige Felsstück in der Hand, holt aus, donnert es mit aller Gewalt auf Kopf und Nacken seines Bruders. Und nicht nur einmal. Er tut das so oft, bis der Bruder blutüberströmt am Boden liegt und sich nicht mehr bewegt. Er hat ihn erschlagen. Etwas später in der Geschichte steht, dass er ihn erwürgt habe. Egal - jedenfalls kommt der verhasste Bruder in dieser Auseinandersetzung gezielt zu Tode. Das verschafft unserm Bauer irgendwie Genugtuung. Endlich ist er seinen Bruder los, der offenbar immer alles vorbildlich besser machte und SEINE Werke dadurch immer in einem schlechteren Licht erscheinen ließ. Nun steht einer Annäherung an seinen Schöpfer aber nichts mehr im Wege. Der wird sich jetzt endlich mit ihm beschäftigen!

Unser Bauer hat das richtig erkannt... es dauert auch nicht lange, und sein Schöpfer fragt AUSGERECHNET IHN "Sag mal, wo ist denn Dein Bruder?" In der Gewissheit, dass der irgendwo leblos im Gebüsch liegt und ihm nicht mehr in die Quere kommen kann mit seinem immer ach so vorbildlichen Lebenswandel, bäfft er arrogant zurück: "Weiß doch ich nicht! Soll ich etwa meines Bruders Aufpasser sein, sein Babysitter???" Von Reue jedenfalls keine Spur. Eher sowas wie Erleichterung. Und sein Schöpfer macht ihm deutlich: "Mensch! Was hast Du denn da getan? Was hast Du Dir dabei gedacht? Denkst Du, Deine Probleme sind damit gelöst??? Glaub bloß das nicht! Jetzt hast Du noch mehr! Dein Bruder kann zwar nicht mehr sprechen, aber sein Blut schreit zu mir von der Erde!"

Anstatt weiterhin friedlich den Acker zu bebauen und die Ernte zu genießen, ist es mit der Beschaulichkeit vorbei. Sein Schöpfer legt für den Mord einen Fluch auf den Acker. Wo unser Bauer ist, läßt sich kein Acker mehr bebauen. Da wächst nichts mehr. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als sich auf den Weg zu machen, um dort, wo er etwas Eßbares findet, seinen Hunger zu stillen. Und der Unterschied zwischen einem sorgfältig bebauten Acker und einer wuchernden Wildnis sind groß. Die Früchte wachsen einem dort nicht in den Mund. Er ist die längste Zeit Bauer gewesen. Aber er ist noch jung und hat noch etliche Jahre vor sich. Es sieht nicht rosig aus für seine Zukunft...

Als seinen Eltern für den ermordeten Bruder ein weiteres Kind geboren wird, ist die Erde gerade mal 130 Jahre jung. Unser Ex-Bauer packt also seine Habseligkeiten zusammen und macht sich mit seiner Frau auf den Weg. Sein Schöpfer markiert ihn aber erschwerend auch noch mit einem sichtbaren Zeichen, damit alle, die ihn sehen, sofort erkennen können, dass er ein Brudermörder geworden ist. Und sein Schöpfer verbietet auch, dass jemand den toten Bruder rächt und unseren Ex-Bauern nun womöglich ebenfalls umbringt. Das sichtbare Zeichen ist jedem, der es sieht, Warnung genug. Was diese Menschen aber sicher nicht davon abhält, sich die Mäuler über den Brudermörder zu zerreissen. Er dürfte sicher viel üble Nachrede erlebt haben, vermutlich auch offene Feindschaft, viele Menschen werden einen großen Bogen um ihn gemacht haben, aus Angst, bei einem eventuellen Zusammentreffen womöglich auch in Lebensgefahr zu geraten.

Seine Frau teilt wohl oder übel sein einsames Schicksal. Was soll sie auch anderes machen. Die Scheidung war wohl noch nicht erfunden, und alleine schutzlos irgendwo bleiben mit den wilden Tieren, das will sie auch nicht.. Sie machen sich also gemeinsam auf in Richtung Osten, ins Land Nod. Wie uns die Geschichte lehrt, "ging er weg von dem Angesicht des Herrn" seine Schöpfers. Womit seine mörderische Tat nicht nur den ersehnten Erfolg nicht gebracht hat, sondern ihn obendrein erst recht von der direkten Kommunikation mit seinem Schöpfer abschneidet, dessen Zuwendung er früher so sehr ersehnt hatte. Die Dinge waren überhaupt nicht gut für ihn gelaufen.

Wir wissen nicht, ob er je Reue empfunden hat, ob er einsichtig wurde, ob er seine Untat nur schulterzuckend abgetan hat. Darüber wird uns nichts weiter berichtet. Obwohl... er "ging hinweg vom Angesicht des Herrn" kann ja durchaus bedeuten, dass er uneinsichtig war und blieb und sich von Gott keine Vorschriften machen lassen wollte...

 
1. Mose 4:16
16 So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.
 
Aber wir erfahren noch, dass er die Einsamkeit nicht ausgehalten hat. Ein Leben in der Einöde, wo er seinen eigenen Gedanken und Überlegungen ausgesetzt wäre, weil es nicht viel Ablenkung gibt, das ist nicht sein Ding. Und er hat ja immer schon bewiesen, dass er kreativ ist, einfallsreich in allem und dass er weiss, wie man sich das Leben angenehm machen kann.

Als seine Frau und er ihr erstes Kind bekommen, nennen sie es Henoch. Sie wollen das Kind behütet aufwachsen lassen und sich Zeit für ihre kleine Familie nehmen. Und so erfindet unser Ex-Bauer die Mauern, die Schutz gewähren, vor wilden Tieren und wilden Menschen. Da hinein kann man sich flüchten und zurückziehen.
 
1.Mose 4:17
17 Und Kain erkannte seine Frau; die ward schwanger und gebar den Henoch. Und er baute eine Stadt, die nannte er nach seines Sohnes Namen Henoch.
 
Wenn wir auch nicht wissen, wie Henoch die Stadt Kains - der Leser weiß ja bestimmt schon längst, wer die Hauptfigur in unserer Geschichte ist - ausgesehen haben mag, so können wir doch eins mit ziemlicher Gewissheit sagen: sie war von Mauern umgeben.

Bis vor 150 oder 200 Jahren war eine Stadt ohne Mauern so selten wie heute noch ein Garten ohne Zaun. Von Zaun kommt town, das englische Wort für Stadt. Die Stadt ist der eingehegte Raum. Im Römischen Imperium lautete eine geläufige Bezeichnung für den Stadtbewohner intramuranus - der, der innerhalb der Mauer wohnt.

Bei uns erinnert das Wort Bürger daran, dass eine Stadt und eine Burg früher oft dasselbe waren. Ja mit schöner Selbstverständlichkeit pflegt der Oberbürgermeister einer Metropole, die ihre Wälle vor 200 Jahren niederriß, die Teilnehmer eines Kongresses "in den Mauern unserer Stadt" willkommen zu heißen. Was fast 7000 Jahre lang so eng zusammengehörte wie Stadt und Mauer, läßt sich in 200 Jahren Industriezeitalter vielleicht in der Wirklichkeit, aber nicht in der Sprache trennen.

Wie kam es zu dieser kaum lösbaren Verbindung der Begriffe? Reicher Bodenertrag und geringer Raum in den fruchtbaren Flusstälern hatten einst die Ansammlung der Menschen in Dörfern begünstigt. Zum Schutz gegen wilde Tiere, räuberische Nomaden und neidische Landsucher wurden die Dörfer meist mit Palisaden oder Erdwällen umgeben. Im 4. Jahrtausend v.Chr. kam in Mesopotamien allgemein der Lehmziegel in Gebrauch. Das war für dieses Land ohne Steine eine große Erfindung: sie gestattete es, Mauern aufzuführen. Sonnengetrocknete Ziegel waren der Normalfall, in wichtigen Bauwerken wurden sie durch gebrannte Ziegel verstärkt. Nun erhielt jede größere Siedlung ihre Schutzmauer.

Kaum aber hatte der Mensch die Fertigkeit erworben, Ziegel herzustellen oder große Steinblöcke zu behauen, als er auch schon nicht mehr mit dem zufrieden war, was wir heute eine Mauer nennen. Er wandte seine Künste bald auf Stadtbefestigungen an, deren Dimensionen uns zum Teil unglaublich scheinen:
 
URUK
 
Um 2700 v.Chr. umgab sich die große südbabylonische Stadt Uruk mit einer doppelten Festungsmauer, die
9 Kilometer lang und mit 900 Wehrtürmen gespickt war.
 
HAZOR
 
Um 2500 v.Chr. bauten die Bewohner der Königsstadt Hazor (heute Tell Wakkas) in Kanaan um ihre Stadt eine Ziegelmauer mit Steinfundamenten. Sie war 7,50 Meter dick. "Groß und bis an den Himmel vermauert" - so beschrieben die Kundschafter des Moses die Städte des Gelobten Landes (5. Mose 1, 28).
 
TIRYNS
 
Um 1400 v.Chr. entstanden die Mauern von Tiryns, jener gewaltigen Festung auf dem Peloponnes, die sich mit anderen griechischen Städten um den Ruhm stritt, der Geburtsort des Herkules zu sein. Die äußere Mauer war
6 Meter breit, die innere 10 Meter dick und 16 Meter hoch. Sie war aus Steinquadern im Gewicht von zehn Zentnern gefügt, so dass die Griechen glaubten, Zyklopen hätten sie erbaut, und sie nicht weniger bestaunten als die ägyptischen Pyramiden.
 
NINIVE
 
10 Meter in der Breite maßen auch die Mauern von Ninive, als diese Stadt um 700 v.Chr. die Metropole des Weltreichs der Assyrer war.
 
EKBATANA
 
Die persische Gebirgsfestung Ekbatana (auch Agbatana, jetzt Hamadan), eine der Hauptstädte des Perserreichs, schützte sich im 7. Jahrhundert v.Chr. mit einem Befestigungssystem, von dem Herodot berichtet:
 
"Die Mauern sind nämlich so gebaut, dass hintereinander sieben Mauern die Stadt umgeben und dass immer ein Mauerring nur um die Höhe der Zinnen den anderen überragt... Im ganzen sind es sieben Ringe, und im letzten stehen die Königsburg und die Schatzkammer. Der Umfang der äußersten Mauer ist so groß wie die Stadt Athen. Die Zinnen der ersten Mauer sind weiß, die der zweiten schwarz, die der dritten purpurrot, die der vierten blau, die der fünften hellrot, die der sechsten versilbert und die der allerletzten vergoldet."
 
BABYLON
 
Um 600 v. Chr. ließ Nebukadnezar um Babylon einen fünffachen Befestigungsgürtel legen. Der Stadtkern wurde von einem doppelten Mauerring umschlossen: 7 Meter stark war die äußere Mauer, 8 Meter die innere. Der 12 Meter breite Raum zwischen ihnen war vermutlich mit Erde ausgefüllt, so dass die Mauer, die 600 Türme überragten, insgesamt 27 Meter dick gewesen wäre.
 
 
 
Die erwähnten Fälle zeigen eindrucksvoll: Die Mauer war nicht einfach eine Markierung der Stadtgrenze, eine symbolische Abschreckung oder eine Brustwehr; sie war der Versuch, völlige Sicherheit zu finden, die Stadt für alle Zeit gegen Neid und Feindschaft zu behaupten - ein Versuch, der trotzdem fast immer scheiterte.
 
Aber selbst damit sind die Zyklopenmauern von Tiryns, Ekbatana oder Babylon noch nicht zureichend erklärt - Städten, in denen der Rauminhalt der Mauern vermutlich größer war als das Voluemn aller Häuserwände der gesamten Stadt. Hier muss noch etwas anderes mitgespielt haben. Einmal schienen die Städter unwillkürlich geneigt, das entscheidende Kennzeichen ihrer Stadt, die Mauer, besonders eindrucksvoll und gleichsam dankbar herauszustellen. War die Mauer aber das Kennzeichen der Stadt, so wurde sie offenbar nicht selten als Rangabzeichen verstanden: "Dort ist eine gewaltige Mauer, dahinter muss sich eine mächtige Stadt verbergen" - so dachten die Leute. "Und sie hat gar purpurne und goldne Zinnen - welch ein König muss das sein, dem sie gehört!" Hinzu kam wohl ein Hang zum Monumentalen oder Maßlosen, ähnlich wie bei den Erbauern der Pyramiden oder jener gotischen Dome des späten Mittelalters, die mehr Menschen faßten, als die ganze Stadt Bewohner hatte.

So demonstrierte die Stadt ihre Macht und protzte mit ihrem Reichtum. Wie sonst hätte sie derartige Mauern aufführen können, wozu sonst hätte sie einer solchen Wehr bedurft? Druch die Mauern hob sie sich herrisch aus allem Land heraus. Mit ihren Mauern beschwichtigte sie iuhre Angst vor dem Neid der anderen - und vielleicht vir der eigenen Courage. Bewundert und gehaßt, meldete die Stadt ihren Anspruch an, etwas anderes, etwas Besseres als das Land zu sein. Ortega y Gasser sagt darüber:
 
"Der antike Mensch löst sich entschlossen vom Land, von der Natur ab. Wie ist das möglich? Wie kann der Mensch das Land verlassen? Wohin soll er gehen, da doch das Land die ganze Erde, das Unbegrenzte ist? Sehr einfach: Er hegt ein Stück Land mit Mauern ein und stellt dem gestaltlosen, unendlichen Raum den umschlossenen, endlichen gegenüber... Dieses kleine, rebellische Stück Land, das sich von der großen Mutter abgeschnürt hat, ist ein völlig neuer Raum, worin der Mensch, aus jeder Gemeinschaft mit Pflanze und Tier gelöst, ein in sich kreisendes, rein menschliches Reich schafft..."
 
Damit haben wir auch einen Anhaltspunkt, wann man noch von Dorf und wann man schon von Stadt sprechen soll: Eine Siedlung, die sich nicht bloß einen Wall oder einen Zaun, sondern eine Mauer leistet, verdient es wohl, unter antiken Verhältnissen als Stadt bezeichnet zu werden - zumal, wenn sie als Herzstück einen Tempel hat.
 
Uralte arabische Legenden berichten:
"Die Feste auf dem Berg Libanon ist das älteste Gebäude der Welt. Kain, der Sohn Adams, erbaute sie im Jahr 133 der Schöpfung in einem Wahnsinnsanfall. Er gab ihr den Namen seines Sohnes Henoch und bevölkerte sie mit Riesen, die für ihre Frevelhaftigkeit mit der Sintflut bestraft wurden. Nach der Sintflut, als Nimrod über den Libanon herrschte, liess er Riesen kommen, die Feste von Baalbek wieder aufzubauen, die so heisst zu Ehren Baals, des Gottes der Moabiter, welche den Sonnengott anbeteten."
 
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