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Kaum zu glauben

Es steht geschrieben

 

Letzte Aktualisierung: 14.12.2012 14:15

 

 


HAITI - BARON SAMEDI = 1. November

 
 
 
Der 1.November ist der Tag der Heiligen, der Tag der Verstorbenen, hierin Haiti, dem Nachbarstaat der Dominikanischen Republik, ist “Jour des Morts”, der Tag von Baron Samedi, in Kréol samdi geschrieben. Dieser ganz besondere Tag beeindruckt nicht nur in christlichen und katholischen Gegenden und Gemeinden, sondern allenthalben, durch sein meist althergebrachtes Brauchtum. 2003 hat ihn deshalb die UNESCO weltweit zum Tag der Toten erklärt und damit den Schutz des “immateriellen Erbes der Menschheit” festgeschrieben.

Es ist nicht verwunderlich, dass in Haiti, dem “primitivsten” Land der Westhalbkugel, die Riten am seltsamsten sind. Dieses Jahr ganz besonders, nach den Hunderttausenden von Erdbeben-, Hurrikan- und Cholera-Toten.

Ich habe ja schon in meinem Artikel Baron Samedi, Herrscher der Friedhöfe. Tanz mit den Untoten, den Zombies erzählt, was es mit diesem besonderen Tag für eine Bewandtnis hat, und dass der erste Verstorbene, der in einen Friedhof einzieht, automatisch Baron Samedi wird, für heute der absolute Herrscher über alle Friedhöfe ist. Er ist der dunkle Totenboss.

Tag der Untoten, der Zombies, der Hohlhäute, der wieder zum Leben Erweckten, der ihrer Seele Beraubten, Seelen- und willenlosen Wesen, die tanzen heute auch.

An diesem Tag pilgert Ghede, der Gott des Todes und der Fruchtbarkeit, in die Welt der Lebenden, in die Realität. geködert von Houngans und Mambos – Voudou-Priestern und Priesterinnen -, mit Musik, Fetischen wie Totenschädeln und anderem höllisch bis himmlischem Zaubertand. Deshalb heißt der Tag auf Kreolisch “Jou Gède”.

Das Bild, zeigt einen Rada-Altar aus einer Voudou-Zeremonie, mit Kreuz, Totenschädel und weiterem einschlägigen Zaubertand neben einem brennenden Feuer. Das Straßenbild heißt bei den Einheimischen “Baron Samedi” und scheint dem in den Beilagen beschriebenen Friedhofherrscher gewidmet zu sein.

Das reiche traditionelle Brauchtum um die Toten beginnt in allen Religionen meist schon am Vorabend, dem 31.Oktober und dauert bis am Abend des 2.November.

 

In den USA tobt Halloween, “die Nacht des Grauens”, hier ist “Jour des Morts”, Tag der Toten. Es ist Feiertag, die Geschäfte ruhen und die Schulkinder genießen Ferien. Tag der Toten, man müsste eher sagen Tag der Untoten, der Zombies, der Hohlhäute, der wieder zum Leben Erweckten, der ihrer Seele Beraubten, Seelen- und willenlosen Wesen, die nur noch im tiefen Afrika und in Haiti hinvegetieren.

An diesem Tag pilgert Ghede, der Gott des Todes und der Fruchtbarkeit, in die Welt der Lebenden, in die Realität. geködert von Houngans und Mambos – Voudou-Priestern und Priesterinnen, mit Musik, Fetischen wie Totenschädeln und anderem höllisch bis himmlischem Zaubertand. Deshalb heißt der Tag auf Kreolisch “Jou Gède”.

Nachts feiern die Erwachsenen in den schummerigen, überfüllten Peristil (=Peristyls) der Hougans schauerliche Zeremonien mit viel Rum, “Zombie” ( diesmal der so benannte starke Cocktail aus Rum und Fruchtsäften ) und Hühnerhaut ( letztere auf dem Körper ). Der normale Stromausfall, das “Blackout”, tut das Seinige dazu. Grausige Zeremonien werden gelegentlich auch in Hahnenkampfarenen gefeiert, auch die Friedhöfe beginnen in stockfinsterer Mitternacht zu quirlen, erleben sie doch die Wiederauferstehung der Toten für einen Tag.

Despektierlicher weise hatte Hollywood solches Geschehen früher als Kult der Bösen und Teufel porträtiert. Seit 2003, als Voudou in Haiti zur anerkannten Religion emporstieg, entspricht dies nicht mehr der Etikette. Seit der Kolonialzeit ist zwar der Katholizismus offizielle Staatsreligion, aber in der Folge haben sich die Kulte ausgiebig vermischt. So fallen die Kreuzigung Christi und das letzte Abendmahl als Leitmotive am heutigen Tag immer wieder auf. Von weitem hört man das nächtliche Getrommel, das Menschen von weither herlocken kann. Auch mich machen sie neugierig, die Tamtam-Tambouren, und ich mache mich auf, um einen dröhnenden Voudou-Tempel zu finden. Das ist leicht bei der akustischen Begleitung. Die Arena ist knallvoll von Menschen, es “duftet” nach Schweiß und Blut. Trotzdem heißt es wieder mal “Durchhalten !”

Stampfend prügeln die Trommler ihre Congas, so heftig es geht. Die Besucherquote hängt ja schließlich unmittelbar von der Lautstärke ab. Die Handtrommeln sind bis mannshoch, aus Holz gezimmert und die Trommelfelle mit Schnüren straffgespannt. Es ist schon erstaunlich, welche Vielfalt von Tönen und Rhythmen die Künstler den urweltlichen Schlagzeugen entlocken. Sie trommeln endlos weiter, ohne je das melodische Leitmotiv zu missachten, das von einer weiteren Handvoll Musikern vorgegeben wird. Sie blasen dazu ihre zerbeulten Trompeten und abgenutzten Posaunen, mit ebensoviel Inbrunst wie die Tambouren. Schweißperlen stehen auf ihrer Stirn, und sie kommen kaum dazu, hie und da einen Schluck aus der Rumflasche hinein zu kippen.

Mambos in weißen Tüchern und langen Röcken singen, afrikanisch anmutende, rhythmische Melodien. Einige halten Zigaretten in ihrem Mund. Es gilt, den Gott Ghede zu beschwören um zu erscheinen. Aber der spurt nicht, NOCH nicht. Die Kapelle tutet und wirbelt immer lauter und rascher, Ghede, Ghede scheinen sie zu schreien, und schwitzen immer mehr. Und schließlich verlieren die Mambos ihre bisherige Geduld und beginnen auf die Trommler einzupeitschen, sie schreiend zu beschuldigen dass Ghede nicht erscheint. Sie bespritzen Trommler und Trommeln mit Rum und singen in Wechselchören, lauter und lauter, während die Musikanten fast überborden.

Doch plötzlich geschieht es: ein Mambo ruckt und zuckt und schnellt nach vorn wie wenn ihr der Teufel auf den Fersen wäre. Sie fliegt wieder rückwärts, das wiederholt sich, und fällt nach vorn wie eine von einem sadistischen Puppenspieler irregeführte Marionette. Ihr Gesicht scheint leb- und ausdruckslos, und ein unsichtbarer Geist stößt sie wieder unter die andern Mambos, die sie auffangen. Sie schleudern die Frauengestalt umher wie einen Ball und quieken vor Freude: Ghede ist endlich gekommen!

Die Mambos trudeln, kreisen und wirbeln herum, etliche beginnen zu fallen und werden im Fallen durch eine andere strahlend wieder aufgefangen. Ghede ist in ihre Körper getreten und sie wirbeln und stürzen gegenseitig ineinander. Man ist beim verrückten Banda-Tanz angekommen, die Frauen sind besessen, in Ekstase, und gelegentlich wird eine in Ohnmacht fortgetragen.

Die Zuschauer brüllen und krümmen sich vor Lachen, klatschen im Rhythmus und singen im Chor aufreizende Sprüche und Songs. Sie erheben den Rum-Krug und begießen sich gegenseitig. Es kommen auch Tieropferungen vor, Geflügel, Ziegen und selbst Ochsen. Ich selbst habe schon Rituale mit Hühneropfern erlebt; nachdem den Tieren die Köpfe abgetrennt worden waren oder auch nicht, also noch lebend, wurden sie am Schwanz gehalten und mit in die Wirbeltänze gezogen. Dabei kam wohl kein Zuschauer darum herum, über und über mit Blut verschmiert zu werden, ja oft wurden den Umstehenden die blutverschmierten Kreaturen gar ins Gesicht oder auf den Körper geschlagen. In solchen Momenten war es für mich höchste Zeit, “durch einen Hinterausgang” möglichst unauffällig zu verschwinden.

Auch ohne solche Opferszenen ziehen die Frauen schließlich, immer tanzend, ihre Röcke hoch. Habanero-Pfefferschoten werden umhergeworfen und von den kreischenden Weibern eingefangen. Die erfolgreichen Schotenfängerinnen treiben in ihrem Tanz Selbstbefriedigung mit Rumflaschen oder den hyperscharfen Pfefferschoten. Gegen den Schmerz soll ein Teufel helfen, vielleicht auch ein Pulver mystischer Zusammensetzung. Natürlich habe ich das nicht ausprobiert, aber auf den schweißtriefenden, aderigen Ledergesichtern der Mambos beobachtete ich nie Zeichen von Beschwerden.

So wird Ghede um Fruchtbarkeit erfleht, und als letztendliches Geschenk ergeben sich ihm die Priesterinnen und sind felsenfest überzeugt, dass sie jetzt von ihm schwanger wurden. An einem bestimmten Wochentag ist ihnen der Geschlechtsverkehr mit dem eigenen Ehemann inskünftig untersagt, ansonsten er durch die Hand eines Teufels sterben muss.

Der Höhepunkt des Rituals ist erreicht, wenn nach dem Gefühl der Mambos Ghede ihren Körper wieder verlässt. Die Zuschauer klatschen frenetisch, während im Banda immer noch “unanständige” Szenen von Sexualakten markiert und vorgetanzt werden und die Trommler sich (fast) tottrommeln.

 
 
 
Eigentlich hatte ich vorgesehen, an diesem Tag die Nekropole der Prinzenstadt vorzustellen, mit ihren luxuriösen und manchmal mehrstöckigen Totenhäusern, die den Prunk für Häuser der Lebenden weit übertreffen. Aber wegen der zurzeit stündlich weiter explodierenden Cholera verschiebe ich dieses Vorhaben auf nächstes Jahr.
 
 
 
 
 
 
 
 
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